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Wie ich mein Betriebssystem verlor

Ich bin dann mal weg. Weg von Windows als Arbeits-Desktop. Weg, bevor die KI dort ganz einzieht, mich ausmißt oder mir ein Angebot aus dem lokalen Aldi vermittelt.

  1. Die ersten PC-Erfahrungen
  2. Die Wandlung vom Betriebs- zum Vertriebssystem
  3. Ein neuer Desktop muß her
  4. Und ein neuer Server auch
  5. Ich bin dann mal weg

Die ersten PC-Erfahrungen

Es war so einfach am Anfang mit CP/M. Einfach, weil die Möglich­keiten überschaubar waren: 8-Zoll-Laufwerke, POWER.COM, dBASE und ein bernstein­farbener Bildschirm. Immer­hin schon 64 KB RAM und ein Zilog Z80 als 8-Bit-Prozessor. Konzen­tration auf das Wesentliche. Naja, zumeist: Es gab auch schon (textbasierte) Spiele!

Später dann DOS. Wie CP/M, aber mit Verzeich­nissen und Fest­platten. Es machte Spaß zu tüfteln, wie man mit Stapel­dateien tägliche Aufgaben automati­sieren konnte. Dazu die Entwick­lung der Graphik­karten von MDA über CGA, HGC, EGA bis VGA. Die ersten graphischen Spiele entstanden!

Mit Windows kam die Umge­wöhnung auf graphische Ober­flächen. Bunt mit Maus statt mit tasten­gesteuerten Batch-Menüs. Und eine stetig wachs­ende Zahl an Soft­ware dazu. Windows entwickelte sich admini­strativ immer weiter, wurde netzwerk­fähig, Arbeits­gruppen und Domänen entstanden.

Diese schöne und einfache Ära mit Windows ist vorbei. Gründe gibt es mehrere:

Die Wandlung vom Betriebs- zum Vertriebssystem

Unerwünschte Daten­abflüsse. Ab Vista (und durch Updates rückwirkend auch für XP) begann schleichend der Daten­abfluß: vom Rechner in die Weiten des Internets. Zu MS-Servern. Später auch zu Servern anderer Software-Hersteller. Unbemerkt, da noch kein Router den Netz­verkehr kontrollierte.

Mit Windows 10 dann regel­mäßig verschlüsselte Daten­abflüsse. Selbst unter der restriktivsten Einstellung in den Daten­schutz­optionen des Betriebs­systems zeigte der Router Verbind­ungen nach draußen allein schon beim Klicken auf Task Manager, Taschen­rechner oder Einstel­lungen. Wozu muß jeder Klick nach Übersee gemeldet werden?

Unerwünschte Daten­zuflüsse. Ab Windows 8 zusätzlich der umgekehrte Datenfluß: Lokali­sierte Werbung als Kacheln auf dem Desk. Mit der Zeit immer mehr. Statt mich in Ruhe arbeiten zu lassen, lenkt Windows nun meine Aufmerk­samkeit ständig woanders hin.

Verhaltenssteuerung. Schließlich der Druck im Will­kommens­bild­schirm nach jedem Update, mein Verhalten zu ändern. Mein PC müsse gesichert und mit weiteren MS-Diensten verbunden werden, damit ich einfacher und sicherer auf allen meinen Geräten arbeiten könne. Dazu möge ich bitte …

• ein Abonnement für Microsoft 365 abschließen,
• ein MS-Online-Konto statt ein lokales verwenden,
• meine Smartphone-Daten auf dem PC sichern,
• meine PC-Daten in der MS-Cloud sichern,
• den PC mit biometrischen Daten entsperren und
• der Browser-Verbesserung zustimmen.

Man beachte die Emotionen aktivierende Ansprache: Wer möchte nicht einfacher und sicherer arbeiten?

Aber das Gegenteil ist wahr: Ich arbeite einfacher und sicherer ohne Dich, Windows. Du greifst alle möglichen Daten von mir ab, müllst mich mit Werbung zu, lenkst mich ab und gängelst mich. Du kontrollierst mich statt ich Dich. So funktioniert unsere Arbeits­beziehung nicht. Zeit, Lebewohl zu sagen.

Sich von einer vertrauten Software-Umgebung zu lösen fällt schwer. Daher erfolgte in den letzten Jahren zunehmend und parallel zu Windows ein Probebetrieb mit Linux.

Ein neuer Desktop muß her

Der erste Versuch jenseits von Windows war vor etlichen Jahren ein dickes und großes Handbuch im Quartformat für Unix System 5 sowie Minix auf Disketten. Gescheitert.

Später, zeitgleich zur Evolution von Windows, erfolgten parallel die ersten Suse-Installationen mit acht CDs, die aber als Spielwiese eher ein Nischendasein führten.

Nach Suse fiel zunächst die Wahl auf Ubuntu als ausgereifteres Desktop-System, was sich aber schnell wieder ins Aus schoß: Big-Brother-Award, Whoopsie; später Snap-Store und die nicht-intuitive und kaum konfigurierbare Gnome-3-Shell, die mich wertvolle Arbeitszeit kostete. Ergo­nomische Benutzer­ober­flächen kann Windows besser!

BSD war interessant, aber die angebotene Software reichte nicht und die Weiterentwicklung war zu langsam bzw. die Zahl aktiver Programmierer zu gering.

Dann ein Versuch mit dem jungen Linux Mint, das sich ehesten für das produktive Arbeiten am Desktop eignete, weil es das Beste aus zwei Welten vereint: den Vorteil eines klassischen Desktops und den Vorzug einer werbe- und tracking­freien Open-Source-Umgebung. Eine ausge­reifte, ergono­mische Oberfläche, in die man sich intuitiv und schnell einfindet, mit allen täglich wichtigen Appli­kationen. Es erwies sich als geeignet.

Bisher bin ich bei Mint geblieben und habe es nicht bereut. Windows braucht es nur gelegentlich, z. B. für den alten Canon-Scanner, für den es keine Linux-Treiber gibt, zum Testen von Kompilaten für Windows oder für bestimmte Spiele. Windows läuft dabei unter sehr restriktiven Spiel­regeln: Der Viren­scanner wird regelmäßig durch eigene und automatisierte Downloads mit Updates versorgt. Der Browser darf sich noch nach draußen verbinden, das System nicht. Ca. alle zwei Jahre wird es komplett neu aufgesetzt; es kann nichts verloren gehen, da die Benutzer­daten woanders liegen.

Damit war der Wechsel im Desktop vollzogen. Aber ein neues Problem tauchte auf:

Und ein neuer Server auch

Als lokaler Datei- und Webserver fungierte bisher eine DS114 von Synology. Viele Jahre funktionierte dies zufriedenstellend, bis es auch hier schwierig wurde: Die Konfigu­ration des Webservers gestaltete sich bei jedem Release problema­tischer und ging nicht mehr via DSM, sondern nur mit Handarbeit auf System­ebene. Auch der als geräuscharm bezeichnete Lüfter war im Betrieb stets hörbar. Die für ein NAS eher niedrige Leistungs­aufnahme von 16 W summierte sich dennoch im Dauer­betrieb. Mit dem Einsatz eines LAN-Routers wurde auch klar, daß sich die DS zu Dutzenden Synology-Servern (payment.synology.com etc.) ungefragt verbindet. Dies ließ sich noch durch den Router untersagen. Als aber die eingebaute Western-Digital-Red-HD versagte und auf eine SSD umgestellt werden sollte, war Synology schon dazu übergangen, nur noch die im eigenen Haus »zertifizierten«, teuren Speicher­medien zu erlauben. Und auch dort war ich dann mal weg.

Nun werkelt ein Mini-PC als NAS: Eine lüfterlose Narrow Box Premium von CSL mit 8 GB RAM und 500 GB SSD für 280 EUR. Das Teil braucht nur 7 W! Das vorinstallierte Windows 11 S wurde mit einer Minimal­installation von Debian (netinstall) ersetzt, mit einem LAMP-Stack versehen, angepaßt und läuft und läuft – problemlos, geräuschlos, stromsparsam und datensparsam. :-) Alle paar Wochen erfolgen eine Daten­sicherung und ein System-Update. Der Ein/Aus-Knopf fährt das System bequem und korrekt hoch oder herunter. So muß NAS gehen!

Ich bin dann mal weg

Mittlerweile erfolgt 90 % der produktiven Arbeit unter Linux. Nur wenig an Software mußte im Verlauf der letzten beiden Jahre neu beschafft oder umgeschrieben werden. Die Mühe war es definitiv wert.

Ich bin bei einem neuen System angekommen. Windows ist jetzt das Nischensystem.

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